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32. Tag: Sibiu
Mo, 21.05.2006


Ich gönne mir einen Pausentag, um die Stadt genauer kennen zu lernen. Der Rundweg am Vormittag beginnt am großen Platz "piata mare". Dort steht auch die Veranstaltungsbühne für die Open-Air-Beiträge zur Kulturhauptstadt 2007. Es gibt gerade "Robin Hood" für Kinder. Mit viel Spielfreude und wenig Bühnenbild wird eine clowneske Show zu den guten Taten von Robin Hood geboten. Dennoch lässt die Konzentration der Grundschüler nach einer Stunde nach.

Ich trolle mich ebenfalls. Auf der "Piazza mica" entdecke ich eine neue Jugendhrberge mit nur zwei Schlafsälen. Sie ist erwartungsgemäß ausgebucht - kostet auch 45 Lei pro Nacht.

In der evangelischen Kirche wird gerade eine bewegende Fotoausstellung zu Texten von Simone Weill vom Berliner Friedensforum aufgebaut. Schon 1938 hat sie erkannt, dass die Entwurzelung der Menschen sie anfällig macht für Diktatoren. Es geht ihr damals um die Warnung vo dem Aufstieg Hitlers in Deutschland. Die Bildung sei zu technisch orientiert - es fehlt der Verweis auf eine übernatürliche Welt...

In der Astra-Bibliothek finde ich eine hochinteressante Ausstellung zum Raketenforscher Olbert. Er stammt aus Siebenbürgen und hat aufgrund seiner Jules-Vernes-Lektüre schon als junger Mann die Physik des Rückstoßantriebs begründet. Einer seiner späteren Studenten war Wernher von Braun. Es gibt ein entsprechendes Museum in Feucht bei Nürnberg, wo er lange gewohnt hat und - in Gundelsheim am Neckar (!).

Für den Abend besorge ich mir eine Theaterkarte für 5 Lei (1.50 Euro) auf dem Balkon. Zur Mittagspause kehre ich ins Zimmer zurück, koche warm und gönne mir einen Mittagsschlaf. Mein Zimmergenosse kommt von einer Autotour auf der von Ceaucescau gebauten Karpatenstraße "Transfagarasan" zurück. Er ist sehr beeindruckt. Allerdings ist die Abfahrt auf der Südseite durch Schnee und Erdrutsche blockiert. Ursprünglich wollte ich über diese Straße nach Bukarest fahren !

Der Theaterabend wird unerwartet beeindruckend. Das Stück "Balul" (= der Ball, Tanzveranstaltung) ist eine pantomimisch - tänzerische Darstellung der Geschichte Rumäniens von 1920 bis heute. Alles spielt sich in einer Keller-Bar irgendwo in Bukarest ab. Die Anfangsszene zeigt die moderne Nachtbar mit Drogenverkauf und Table-Dance. Dann beginnt der Rückblick - zuerst mit französischem Einfluss: Tango ist angesagt. Einen großen Raum nehmen die zunehmend deutschen Einflüsse unter dem Nazi-Regime ein: eine Hochzeitsgesellschaft wird von einem SS-Offizier zerstört, eine Jüdin von der Gestapo erschossen. Die russischen "Befreier" benehmen sich unterschiedlich - von mitfühlend bis ausbeuterisch. Schließlich wird das Stalinbild durch ein überdimensionales Ceaucescau- Porträt ersetzt. Es beginnt der kulturelle Rückschritt. Während anderswo die Hippies die Befreiung von Zwängen üben, wird Folklore hochgehalten. Dramatischer Höhepunkt des Abstiegs ist die Mangelwirtschaft: Zehn Menschen stehen für eine Flasce Milch an. Zu guter Letzt befreit sich Rumänien: Das Bild Ceaucescaus wird zerschlagen.


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