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Heute also starte ich früh, um mit dem ersten Zug nach Rijeka zu fahren. Der morgendliche Verkehr hält sich um 7:00 Uhr noch in Grenzen. Die Nacht war klar und eiskalt. Schnee und Schneematsch sind festgefroren. Auf der Fahrbahn gibt es stellenweise Glatteis. Gestreut wird nicht.
Auf gewohntem Pfad gelange ich in 30 Minuten zum Bahnhof. Dort wird der Zug nach Rijeka bald bereitgestellt. Statt das schwere Rad durch die Unterführung zu tragen, schiebe ich es über die Gleise - viele andere Fahrgäste tun dies genauso. Der Schaffner des Zuges ist damit beschäftigt, Abteile für eine Jugendgruppe zu reservieren. Da es keinen Gepäckwagen gibt, soll ich das Rad in den Eingang des letzten Wagens stellen. Genau dort ist aber die Tür defekt. Also steige ich in der Nachbartür ein und schiebe das Rad durch den - noch leeren - Seitengang. Mit dem Gepäckgummi wird das Rad an der (defekten) Mitteltür verzurrt. So bleibt sogar der Weg zur Toilette noch frei. Ich setze mich in das komfortable letzte Abteil zu einem jungen Mann, der sich über mein umfangreiches Gepäck (insgesamt 7 Teile !) etwas wundert: Fensterplatz in Fahrtrichtung links !
Kurz nach der Abfahrt des Zuges kommt der Schaffner und stellt - handschriftlich - die
Fahrradkarte aus: 65 Kuna ! Ich protestiere - am Schalter in Zagreb wurden 30 Kuna genannt.
Mit einem zehnminütigen Wortschwall erklärt er den Aufpreis meinem Mitreisenden. Der sagt
immer nur Da, da, da d.h. Ja, ja, ja. Als der Schaffner endlich geht, erklärt er mir,
dass die 30 Kn nur für Züge mit eigenem Fahrradabteil gelten. Nun ist unser Zug aber
als Zug mit Fahrradbeförderung im Fahrplan ausgewiesen.
Nach einer halben Stunde kommt der Schaffner zurück und stellt eine neue Fahrradkarte
für 30 Kn aus. Die alte wird akribisch durchgestrichen und mit einer Bemerkung versehen.
Bis Karlovac geht es durch eine mit Gebüsch und niedrigen Bäumen bewachsene Sumpfebene - alles bedeckt mit Neuschnee. Hier hätte man problemlos die Szenen des russischen Winterkrieges im großen ZDF-Film drehen können...Hinter Karlovac steigt die Strecke in die Berge auf etwa 800 m . Das Gebirge wird ohne Scheiteltunnel überwunden. Unzählige enge Kurven verlangsamen die Fahrt. Der Zug besteht aus nur drei ehemaligen IC-Wagen, ist aber mit einer starken Güterzuglok bespannt.
Die Schneehöhe nimmt mit der geograhischen Höhe zu. Die Gleise sind soweit zugeschneit, dass nur noch die Schienenköpfe frei sind. Es schneit heftig weiter. Die parallel verlaufende Landstraße trägt eine geschlossene Schneedecke. Es besteht Schneekettenpflicht. Die wenigen Kfz fahren im Schritttempo. Hier wäre es als Radfahrer unmöglich durchzukommen. Selbst die Autobahn ist zugeschneit - schließlich wird sie ganz für den Verkehr gesperrt.
Auf der Passhöhe herrscht Winteridylle. Zu einem Meter Altschnee kommen nochmal 20 cm Neuschnee. Nur schmale Schluchten sind für die Fußgänger an den Bahnhöfen frei geschaufelt.
Der Abstieg des Zuges erfolgt anfangs rasant. Die Kurvenbelastung der Fahrgestelle hört sich grenzwertig an. Der zunehmende Westwind verstärkt sich zum Schneesturm. Durch die im letzten Sommer abgebrannten Wälder peitscht ein wilder Sturm, verwirbelt den Schnee. An hohen Dämmen sind neben dem Gleis massive Windschutzmauern errichtet. Selbst die schweren IC-Wagen beginnen im Sturm zu wanken. Der Lokführer reduziert zusätzlich die Geschwindigkeit - eine fast apokalyptische Fahrt.
An der Stadtgrenze von Rijeka ändert sich die Natur so schlagartig, dass es wieder unwirklich wirkt. Sobald das "Tower Center", Rijekas größtes Einkaufszentrum, erreicht ist, sind Vegetation und Wetter mediterran. Es nieselt nur leicht - der Sturm legt sich zu einem schwachen Wind.
Fünf Minuten später steige ich trocken aus dem Zug aus. Insgesamt brauche ich vier Arbeitsgänge beim Aussteigen, bepacke das Rad und gondle zur Jugendherberge im Süden der Stadt. Es ist zwar kalt aber trocken. Die JH nimmt mich ohne Umstände auf - ich schlafe allein im Viererzimmer. Nebenan wohnen zwei junge Männer aus Bayern, die auf einer halbjärigen Radtour nach Indien sind (www.simon-schedlbauer.de). Sponsoren spenden für jeden gefahrenen Kilometer einen Euro für ein tibetanisches Hilfsprogramm.
Beim Abendessen komme ich ins Gespräch mit den beiden Fernradlern. Der Spendenfahrer arbeitet in einer Bank und erhält 6 Monate unbezahlten Urlaub. Der Mitfahrer ist schon in der ganzen Welt geradelt und hat gerade mal wieder seine Arbeitsstelle gekündigt. Sie sind erst 14 Tage unterwegs und mit allen Unbillen des späten Winters konfrontiert worden. Heute machen sie einen Erholungstag und hoffen auf besseres Wetter für ihre Weiterfahrt morgen.
Ich gehe noch Einkaufen beim LIDL nebe dem Tower Center. Dort entdecke ich ein CINESTAR- Kino mit sehr guten Programm. Ich plane eine Kinonacht. Vor der Rückkehr zur JH drehe ich noch eine kleine Runde durch die Fußgängerzone von Rijeka. Die Paläste erinnern an Triest - alles aus Habsburger Zeiten.
Ich entlade meine Einkäufe im Hostel und ruhe ein wenig bis zum nächtlichen Fußmarsch über einsame Treppenwege zurück zum Kino. Das Land erscheint mir extrem sicher - auch nachts.
Es gibt "Anna Karenina" in englischer Originalfassung mit Keira Knightley in der Hauptrolle. Es dauert ein wenig, sich an die Theaterkulissen zu gewöhnen, in denen der größte Teil des Films spielt - immer wenn die geschlossene Welt des russischen Adels gezeigt wird. Nur der Ausbruch aus der Adelswelt wird mit Bilder von traumhafter Natur belohnt. Die junge Ehefrau und Mutter Anna Karenina verliebt sich in den notorisches Herzensbrecher Graf Vronsky und zerstört dabei ihre sichere Existenz als Frau eines russischen Ministers. Selbst Vronsky wird diese amour fous irgendwann zu eng. Nachdem sie endgültig aus der Gesellschaft ausgestoßen wird, bleibt ihr nur der Selbstmord unter der Eisenbahn. Eine überraschend erwachsene Rolle für Keira Knightley, in die sie sich intensiv hineinsteigert - ein Vergnügen für ihre Fans...
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