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Heute ist Abreisetag. Um 19:00 Uhr fährt das Schiff "Vilnius" von DFDS Seaways im "neuen" Fährhafen ab. Es ist die größte Eisenbahnfähre der Welt (bezogen auf die nutzbare Gleislänge) und kann 104 russische Vierachser laden. Wie ich von einem erfahrenen DDRler höre, wurde dieses Eisenbahntrajekt erst 1984 eröffnet, weil Polen immer höhere Transitgebühren für die russischen Züge verlangte. Damals wurde der Fährhafen soweit aus Klaipeda hinaus verlegt, um einen günstigen Eisenbahnanschluss und Rangiergleise im Vorfeld zu ermöglichen. Beim Beladen müssen immer zwei Züge parallel einfahren, damit das Schiff nicht kippt und die Laderampe beschädigt.
Zunächst habe ich aber am Vormittag noch Zeit. Ich erkunde Klaipeda nochmals zu Fuß. Das ermöglicht andere Einblicke und Wege. Highlight ist die erst 1964 fertig gestellte, riesige katholische Kirche in typisch kantiger Sowjet-Architektur. Der planende Pfarreirat wurde für den Bau bis zu 8 Jahren ins Gefängnis gesteckt, weil ihm Geschäfte mit Baumaterialen unterstellt wurden. Der Turm wurde damals wieder abgerissen und die Halle als Philharmonie genutzt. Erst im Zuge des sowjetischen Umbruchs konnte die Kirche wieder ihrer Bestimmung übergeben werden.
Zurück im Hostel zur Mittagspause bin ich gegen 13:00 Uhr. Um 14:00 Uhr starte ich zur Abreise. Nach einer langen Fahrt über die Stadtautobahn gegen den Wind bin ich erst 15:30 Uhr am Fährhafen. Ab 16:00 Uhr kann man einchecken. Es beginnt wieder zu regnen - das macht den Abschied leichter. Direkt an der Ladebrücke ist dann nochmals eine Stunde Warten angesagt. Die Be- und Entladung der Eisenbahn-Waggons ist noch nicht abgeschlossen. Hautnah erlebe ich so die Rangierkünste bei der Paralleleinfahrt. Beladen wird nur das Unterdeck, nur zwei von fünf Gleisen. Das Oberdeck bleibt leer. Dort landen später die wenigen PkW, die heute mitfahren.
Beim Warten gesellt sich ein junges Paar aus Dresden zu mir. Sie waren eine Woche mit dem Rad unterwegs: Klaipeda - Nida - Kaunas (- Vilnius mit dem Zug). Er ist gelernter Elektriker und hat nach der Wende ein Jahr in Südamerika verbracht: Anreise auf einem Bananenschiff, Arbeit auf einer Touristen-Station und einer Farm, Reisen von Ecuador bis Punta Arenas, zuletzt mit dem Fährschiff ab Puerto Montt entlang der Gletscherküste Chiles, zu Fuß drei Tage auf dem "Indian Trail" zum Macchu Piccu, eine Woche Wandern im Gletscher-Park in Argentinien, usw. Heute arbeitet er als studierter Sozial-Pädagoge bei der Diakonie in Pirna. Interessante Information aus Pirna: Die Familienrichter machen vor der Urteilsverkündung bei Scheidungen eine Beratung für den Umgang mit den gemeinsamen Kindern zur Pflicht. Das würde viele Probleme mit Alleinerziehenden auch bei uns entschärfen.
Im "Pullmann-Raum (sogenannte Schlafsessel) sind heute nur 5 Gäste, so dass sich jeder auf dem Boden ausbreiten kann. Auf der Luftmatratze schlafe ich wie im Zelt.
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