[Übersicht] [nachfolgender Bericht]
Malaga oder: Wie ich unter die Räuber fiel | Di, 8.5.2001 |
---|---|
Liebe Leser,
es ist fast schon vergessen oder erscheint wie ein böser Traum. Nur ein leichtes Ziehen in der linken Hüfte erinnert noch daran... Nachdem ich die letzte Mail abgesetzt habe, ist es fast 1.00 Uhr geworden. Ich will nun schnell zurück zur JH (ca. eine halbe Stunde Fußweg). Beim Weg zur Avenida Andalucia verirre ich mich ein wenig in den Gassen der Altstadt. Merkwürdig viele Kinder (im Alter von etwa 14 Jahren ) lungern noch herum und fragen ständig, wie spät es sei. Weil ich dieses Spielchen aus Argentinien schon kenne, kümmere ich mich nicht darum , sondern eile weiter. Nach einer solchen Begegnung höre ich ein unheilverheißendes Zischen hinter mir: zwei solcher "Kinder" verfolgen mich jetzt. Ich laufe schneller, schlage Haken, an der Uferpromenade des Flusses glaube ich sie abgehängt zu haben. Nach 200 m entdecke ich sie jedoch wieder hinter mir. Nun rennen sie hinter mir her, versärkt um einen ca. 18-jährigen Jugendlichen. Auf dem Platz vor einer KIche umstellen sie mich und versuchen mich einzukreisen. Ich renne zurück, durchbreche die Linie, kann einem der kleinen ausweichen, der nach mir boxt. Der grosse rennt hinter mir her, boxt mich in den Rücken. Laut "Hilfe" schreiend renne ich die Uferpromenade hoch zur Hauptstraße. Sie verfolgen mich nicht mehr. Hotels sind in der Nähe. Nach einigen hundert Metern fühlt sich mein linkes Bein merkwürdig feucht an. Ich fühle mit der Hand an der Hose: sie ist voller Blut... Offenbar hatte der 18-jährige ein Messer in der Faust, mit dem er mich getroffen hat. Ich eile trotzdem zur JH, bitte dort um Verbandsmaterial und Reinigungsalkohol. Im Zimmer zeigt sich beim Ausziehen das ganze Ausmaß. Unterhose, T-Shirt und Hose sind auf der linken Seite von Blut durchweicht. Die Wunde ist ein ca 1 cm breiter Stich in den Gesäßmuskel (dort wo die Impfungen normalerweise eingestochen werden). Die Wunde hat sich etwas beruhigt, ich dusche vorsichtig, lege eine Kompresse auf die Wunde und verbinde sie mit der alten Elastikbinde, die ich immer bei mir habe. Das Einschlafen fällt schwer, der Kreislauf rast noch vor Erregung, schließlich kann ich doch - auf der rechten Seite liegend - einschlafen. Am nächsten Morgen sind auch Schlafanzughose und Hemd über der Wunde mit einem großen Blutfleck verziert. Ich beschließe, doch zum Arzt zu gehen. An der Rezeption der JH erfahre ich, dass es in der Nähe ein Hospital mit Urgencias (Notfallaufnahme) gibt. Dort werden sie mir helfen können. Am Eingang werden routiniert meine Personalien in den PC aufgenommen und ich erhalte ein Namensschild mit Nummer aufs Hemd geklebt. Kurz darauf kann ich die Geschichte und die Beschreibung meiner Verletzung einem Arzt erklären, der ein wenig Englisch spricht. Er erstellt den Patientenbogen und gleich eine Beschreibung für die Polizeiaufnahme. Die Wunde blutet immer noch ein wenig. Die Unterhose hat schon wieder einen Blutfleck. Nach 1 Stunde Wartezeit kümmert sich schließlich die Unfallchirurgin um mich. Sie wird begleitet von einer deutschen Arztpraktikantin, sodass es nun endlich keine Verständigungsprobleme mehr gibt. Beide versichern mir, dass ich bei der Verletzung viel Glück gehabt hätte, einmal wegen der ungefährlichen Stelle, an der ich getroffen wurde, zum anderen, weil die Wunde nur 1 cm tief ist. Sie wird gründlich ausgewaschen und mit zwei Fäden genäht. Dann kann ich das Hospital mit einem Rezept für Antibiotika (gegen eine mögliche Entzündung) wieder verlassen. 48 Stunden soll ich nicht weiter Radfahren, nach 10 Tagen sollen die Fäden gezogen werden. Also bleibt Zeit für sonstige Aktivitäten. Zuerst wasche ich den Berg von Schmutzwaäsche, der sich in den letzten Wochen angesammelt hat, zusammen mit den nur notdürftig ausgewaschenen blutdurchtränkten Kleidungsstücken. Aus dem Trockner kommt fast alles wieder sauber heraus. Über Mittag hole ich einen Teil des versäumten Nachtschlafes wieder nach. Gegen 15:00 Uhr treibt mich jedoch das Bedürfnis aus dem Bett, die polizeiliche Meldung noch heute abzugeben. Auch die Polizeizentrale ist nur 10 min von der JH entfernt. Dort werde ich in den Warteraum gelassen. Der Beamte, der den Vorfall aufnehmen will, gibt gleich auf, als er merkt, dass ich nur wenig Spanisch kann. Um 16:00 Uhr kommt eine Übersetzerin, solange muss ich warten. Die versteht und spricht dann ganz gut Englisch, sodass der Polizeibericht schnell verfasst ist. Da ich aber keine näheren Angaben über die Täter machen kann (ausser dem geschätzten Alter), hat das ganze wohl nur Wert für die Kriminalstatistik. Die Verwunderung ist groß, dass mir nichts gestohlen wurde. Für den Nachmittag fahre ich dann doch wieder ins Zentrum, verbringe die Zeit in den wunderschönen Parks der Stadt. Hier blühen jetzt die gleichen Bäume lila, wie im November in Buenos Aires. Auf dem Rückweg kaufe ich im Corte Ingles noch zwei Gaskartuschen, nach denen ich seit Samstag schon auf der Suche bin. Vielleicht komme ich ja doch noch nach Marokko. Bei allem mache ich aber einen großen Bogen um die Altstadt Malagas. Am Abend gönne ich mir das Abendessen der JH, eine merkwürdige Zusammenstellung aus Suppe mit den Resten des Wurstsalats vom Vortag, Hamburger mit viel zu grossem Brötchen und lauwarmen Pommes und einer Banane. Trotzdem ist es eine Abwechslung zu den selbstgekochten Nudeln oder Tortellini, von denen ich sonst lebe. In dieser Nacht schlafe ich lange und gut, wobei die Rückenlage nach wie vor Tabu ist. Die Wunde schmerzt nicht, die Kompresse ist nicht wieder durchgeweicht, nur beim Bücken zieht es im Rücken. Nach dem umfangreichen JH-Frühstück nutze ich heute die S-Bahn nach Fuengirola an der Küste (es gibt tatsächlich zwei S-Bahn-Linien von Malaga aus, die die Region um Torremolinos und den Zugang zu den Bergen des Hinterlandes erschließen). Der Ort ist ein grosser Badeort, bei dem auch wieder die Altstadt der touristischen Nutzung zum Opfer gefallen ist. Diesmal herrscht Englisch als Touristensprache vor. Nach der Rückkehr besuche ich die Alcazaba von Malaga, den arabischen Palast. Da er bis 1930 verfallen ist und erst danach wieder aufgebaut wurde, erinnert er nur schwach an die Pracht der Alcazaba von Granada. Die Einteilung der Räume und die schönen Innenhöfe mit Wasserspielen sind aber ähnlich. Nun - auf dem Rückweg (heute schon um 17:00 Uhr) - finde ich Zeit, die Geschichte loszuwerden, indem ich allen diese ausführliche Mail schreibe. Die Stunde im Internet kostet hier nur noch 200 Ptas (2.40 DM). Ich hoffe, nun morgen doch wieder weiterfahren zu können, zuerst in kleineren Tagesetappen. Die Küste ist bis Algeciras sehr gut touristisch erschlossen, sodass ich überall ein Hostal finden werde. Viele Grüße von einem, der nochmal Glück gehabt hat Joachim Heidinger |